Die Entziehung von Wohnungseigentum ist ein heikles Thema. Sie ist im Lichte des Grundsatzes „Eigentum verpflichtet“ zu verstehen. Auch wer Eigentümer einer Eigentumswohnung oder Eigentümer von Teileigentum ist, bleibt verpflichtet, mit seinem Eigentum so zu verfahren, dass er die Rechte anderer Wohnungs- oder Teileigentümer nicht über Maßen beeinträchtigt.
Inhalt: Entziehung von Wohnungseigentum
1. Die Wohnungseigentümergemeinschaft ist unauflösbar
2. Eigentum verpflichtet
3. Voraussetzungen der Entziehung von Wohnungseigentum
3.1. Generalklausel § 18 I WEG
b. Eigentümer ist auch für andere verantwortlich
c. Pflichtverletzung ist nicht verschuldensabhängig
d. Fortsetzung der Gemeinschaft muss unzumutbar sein
e. Beispiele der Rechtsprechung
e.1. Anerkannte Entziehungsgründe (im Einzelfall!)
e.2. Abgelehnte Entziehungsgründe
4.1. Regelbeispiel 1: Pflichtverletzung aus § 14 WEG
4.2. Regelbeispiel 2: Zahlungsverzug
5. Vorgehen zur Entziehung von Wohnungseigentum
b. Durchsetzung des Entziehungsbeschlusses erfordert Klage
d. Zwangsvollstreckung des Entziehungsurteils
1. Die Wohnungseigentümergemeinschaft ist unauflösbar
Zwar bestimmt § 11 WEG die „Unauflöslichkeit der Gemeinschaft“. Danach kann kein Wohnungseigentümer die Aufhebung der Gemeinschaft verlangen. Wer aus der Gemeinschaft aussteigen will, muss sein Eigentum verkaufen.
2. Eigentum verpflichtet
Dieser Grundsatz der Unauflöslichkeit erfährt in § 18 WEG eine Ausnahme. Danach ist die Entziehung des Wohnungseigentums möglich, wenn die Fortsetzung der Wohnungseigentümergemeinschaft mit einem Miteigentümer wegen schwerwiegender Pflichtverletzung mit ihm nicht mehr zumutbar ist. Die Voraussetzungen, unter denen die Entziehung von Wohnungseigentum möglich ist, sind im Gesetz detailliert geregelt. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, bleibt es bei der Unauflöslichkeit der Gemeinschaft.
Besteht die Wohnungseigentümergemeinschaft nur aus zwei Wohnungseigentümern, kann der andere die Entziehung des Wohnungseigentums verlangen und gerichtlich durchsetzen.
Gehört das Wohnungseigentum mehreren Eigentümern, ist der Entziehungsanspruch gegen alle Teileigentümer zu richten und kann nicht allein gegen den störenden Teileigentümer gerichtet werden.
Die Entziehung von Wohnungseigentum verstößt auch nicht gegen die Eigentumsgarantie des Art.14 Grundgesetz. Gerade Art. 14 II GG bestimmt, dass „Eigentum verpflichtet“. Wer mit seinem Eigentum verantwortungslos umgeht und die vorgegebene Ordnung missachtet, muss damit rechnen, enteignet zu werden. § 18 WEG ist deshalb verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG WuM 1998, 45; NJW 1994, 242).
3. Voraussetzungen die Entziehung von Wohnungseigentum
§ 18 WEG sieht mehrere Möglichkeiten vor, einem Wohnungseigentümer sein Wohnungseigentum zu entziehen. Es sind die Generalklausel (§ 18 I WEG) und die Regelbeispiele (§ 18 II WEG: Verletzung der Pflichten aus § 14 WEG, Zahlungsverzug) zu unterscheiden.
3.1. Generalklausel § 18 I WEG
a. Schwere Pflichtverletzung
Nach der Generalklausel ist die Entziehung von Wohnungseigentum möglich, wenn sich der Wohnungseigentümer einer so schweren Pflichtverletzung schuldig gemacht hat, dass es den anderen Wohnungseigentümern nicht zuzumuten ist, die Gemeinschaft fortzusetzen. Diese können dann von ihm verlangen, dass er sein Wohnungseigentum verkauft. Verkauft er nicht freiwillig, kann er durch gerichtliches Urteil zum Verkauf verpflichtet werden. (bestätigend: BGH Urt.v.17.1.2007 – V ZR 26/06).
b. Eigentümer ist auch für andere verantwortlich
Sind für die Verfehlungen ein Mieter oder Familienangehörige verantwortlich, ist der Wohnungseigentümer gemäß § 14 II WEG verpflichtet, diese zu einem ordnungsgemäßen Verhalten anzuhalten. Tut er oder gelingt ihm dies nicht, ist er gegenüber der Gemeinschaft selbst in der Verantwortung und kann sich nicht damit rechtfertigen, dass eigentlich andere verantwortlich sind (LG Augsburg ZMR 2005, 230).
c. Pflichtverletzung ist nicht verschuldensabhängig
Auf ein Verschulden des Wohnungseigentümers kommt es nicht an. Auch wenn § 18 I WEG davon spricht, dass er sich der Verfehlung „schuldig“ gemacht habe, werden auch nicht zurechenbare oder nicht persönlich vorwerfbare Pflichtverletzungen als Entziehungsgründe anerkannt. Wollte man nur auf verschuldete Störungen abstellen, wären die anderen Wohnungseigentümer schutzlos.
Beispiel: Die von einem alkohol- oder drogenabhängigen Wohnungseigentümer ausgehenden Störungen sind ein Entziehungsgrund, wenn der Verbleib in der Gemeinschaft den anderen Wohnungseigentümer nicht zugemutet werden kann (BVerfG NJW 1994, 242; LG Tübingen NJW-RR 1995, 650).
d. Fortsetzung der Gemeinschaft muss unzumutbar sein
Neben der Feststellung der Störung ist als weiteres Tatbestandsmerkmal die Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Gemeinschaft zu prüfen. Dazu bedarf es einer Interessenabwägung zwischen den Interessen der Wohnungseigentümergemeinschaft an der ungestörten Nutzung ihres Wohnungseigentums und dem Eigentumsbestandsinteresse des störenden Wohnungseigentümers.
Im Regelfall ist eine Wiederholungsgefahr zu fordern, so dass einmalige Vorfälle nur in extremen Fällen ausreichend sind.
e. Beispiele der Rechtsprechung
(nach Harz u.a./Schmid Miet- und WE-Recht 3. Aufl. Kap.22 R. 10):
e.1. Anerkannte Entziehungsgründe (im Einzelfall!)
- Prostitutionsausübung mit Bordellbetrieb im Wohngebiet bei Duldung des Wohnungseigentümers (LG Nürnberg-Fürth NJW 1963, 720)
- Erhebliche Belästigungen, z.B. aus der Wohnung ausströmende Fäkaliengerüche, wenn Änderung nicht zu erwarten ist (LG Tübingen NJW-RR 1995, 650)
- Fortlaufende Sachbeschädigungen und Beschmutzungen am Eigentum anderer Wohnungseigentümer (AG Rheinbeck WE 1993, 127)
- Dauernde nächtliche Ruhestörungen durch Trinkgelage (LG Augsburg ZMR 2005, 230)
- Gewalttätigkeiten und grobe Beleidigungen anderer Wohnungseigentümer (LG Köln ZMR 2002, 227)
- Schwere Beleidigungen anderer Wohnungseigentümer (KG NJW 1967, 2268)
- Ungezieferplage infolge der Vernachlässigung des Sondereigentums
- Permanente Lärmbelästigung durch Erwachsene (LG Aachen ZMR 1965, 75)
- Vielzahl von Beschlussanfechtungsverfahren, mit der Folge, dass die Zahl der Rechtsstreitigkeiten als Sachmangel beim Verkauf des Wohnungseigentums zu Tage tritt und dessen Verkaufsfähigkeit mindert (KG NJW 1992, 1901)
- Störungen eines alkohol- oder drogenabhängigen Wohnungseigentümers (BVerfG NJW 1994, 242; LG Tübingen NJW-RR 1995, 650)
- Messi-Problematik (Vermüllung der Wohnung, zwanghafter Sammelwahn)
e.2. Abgelehnte Entziehungsgründe (im Einzelfall!)
- Beständiges, aber nicht querulatorisches Anfechten von Gemeinschaftsbeschlüssen. Der Wohnungseigentümer nimmt ein elementares Recht aufgrund seiner Eigentümerstellung wahr (OLG Köln NJW-RR 2004, 877).
- Tätigkeit in einer politischen Organisation, auch dann nicht, wenn Angriffe politischer Gegner zu befürchten sind (AG München ZMR 1961, 304).
- Vermietung der Wohnung an Ausländer (LG Wuppertal WE 1975, 124).
4. Regelbeispiele § 18 II WEG
„Regelbeispiel“ bedeutet, dass das Gesetz ausdrücklich Fälle bezeichnet, in denen die Entziehung des Wohnungseigentums möglich ist. Es konkretisiert die Generalklausel des § 18 I WEG.
4.1. Regelbeispiel 1: Pflichtverletzung aus § 14 WEG
Jeder Wohnungseigentümer ist gemäß § 14 WEG verpflichtet, sein Wohnungseigentum verantwortungsvoll im Hinblick auf die Wohnungseigentümergemeinschaft wahrzunehmen. Dazu gehört insbesondere
- die Pflicht zur Instandhaltung und Instandsetzung seines Sondereigentums,
- ferner die Pflicht das Gemeinschaftseigentum nur so zu nutzen, dass die anderen Wohnungseigentümer nicht beeinträchtigt werden (z.B. Sachbeschädigungen zu unterlassen),
- die Pflicht, Mieter, Haushaltsangehörige oder sonstige Nutzungsberechtigte zur Einhaltung der dem Wohnungseigentümer selbst obliegenden Pflichten anzuhalten,
- Bauliche Maßnahmen an seinem Sondereigentum zu dulden, die im Interesse des Gemeinschaftseigentums liegen (z.B. Sanierung des Bodenbelags der Terrasse über der Wohnung eines Miteigentümers),
- den Zutritt zu seinem Sondereigentum zu gestatten, soweit dies zur Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums notwendig ist.
Voraussetzung ist eine Abmahnung des zu beanstandenden Verhaltens. Der Abmahnung müssen mindestens zwei weitere Verstöße folgen. Die Abmahnung muss zeitlich vor der Beschlussfassung über die Entziehung des Wohnungseigentums erfolgen. Verzichtbar ist sie nur, wenn sie unzumutbar ist oder keinen Erfolg verspricht. Um Risiken zu vermeiden, sollte immer eine Abmahnung ausgesprochen werden.
Die Abmahnung kann durch den Verwalter oder andere Wohnungseigentümer erfolgen (BGH Urt.v.17.1.2007 – V ZR 26/06).
Beschließt die Wohneigentümergemeinschaft die Abmahnung, kann der betroffene Wohnungseigentümer diese anfechten. Das Gericht prüft aber nur formelle Mängel, nicht die Berechtigung der Abmahnung (BayObLG NJW-RR 1996, 13). Die Berechtigung spielt erst im Entziehungsverfahren eine Rolle.
4.2. Regelbeispiel 2: Zahlungsverzug
Der häufigste Fall, bei dem Wohnungseigentum entzogen wird, ist der Zahlungsverzug gegenüber der Gemeinschaft mit Wohngeld. Voraussetzung nach dem Gesetz ist, dass der Wohnungseigentümer …
- über mehr als 3 Monate mit seinen Zahlungspflichten gegenüber der Gemeinschaft im Verzug ist,
- der Rückstand mindestens 3 % des Einheitswerts seines Wohnungseigentumsgesetzes
- und der Wohnungseigentümer abgemahnt wird (BGH ZMR 2007, 465).
In der Teilungserklärung kann bestimmt werden, dass bereits geringere Rückstände (z.B. 2 Monate Zahlungsverzug) für die Entziehung ausreichen (BGH NJW 2002, 1657). Eine Verschärfung (z.B. 4 Monate Zahlungsverzug) der im Gesetz bezeichneten Voraussetzungen ist jedoch nicht möglich, da es sich dabei um Regelbeispiele handelt.
Der Wohnungseigentümer kann noch nach Erlass des Entziehungsurteils bis zur Erteilung des Zuschlags im Zwangsversteigerungsverfahren die Rückstände begleichen und damit die Entziehung seines Wohnungseigentums abwenden (§ 19 II WEG).
Auch die fortlaufend unpünktliche Zahlung von Wohngeld kann die Entziehung des Wohnungseigentums nach der Generalklausel des § 18 I WEG rechtfertigen, wenn dadurch die ordnungsgemäße Verwaltung nachhaltig beeinträchtigt wird (BGH ZMR 2007, 465).
5. Vorgehen zur Entziehung von Wohnungseigentum
a. Beschlussfassung
Die Entziehung von Wohnungseigentum erfordert einen Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft (§ 18 III WEG). Der betroffene Wohnungseigentümer ist nicht stimmberechtigt (§ 25 V WEG).
Bei einer reinen Zweiergemeinschaft erübrigt sich ein Beschluss (LG Köln ZMR 2002, 227). Allerdings soll der auszuschließende Wohnungseigentümer angehört werden (BayObLGz 1983, 112).
Die Beschlussfassung erfordert die qualifizierte Mehrheit von mehr als der Hälfte der stimmberechtigten Wohnungseigentümer. Bei Mehrhausanlagen zählt die Gesamtheit aller Wohnungseigentümer (BayObLG Rpfleger 1972, 144).
Es genügt nicht die Mehrheit der in der Eigentümerversammlung erschienenen Wohnungseigentümer (§ 18 III WEG). Dabei gilt das Kopfstimmrecht. Danach hat jeder Eigentümer eine Stimme (§ 25 II 1, 18 III 3 WEG). Auf die Größe seines Miteigentumsanteils kommt es nicht an. Soweit in der Gemeinschaftsordnung ein Stimmrecht nach Miteigentumsanteilen vorgesehen ist, gilt dieses nicht für die Entziehung von Wohnungseigentum (BayObLG NJW-RR 2000, 17).
Mit dem Entziehungsbeschluss beschließt die Gemeinschaft, dass das Wohnungseigentum eines Miteigentümers entzogen werden soll und fordert ihn auf, sein Wohnungseigentum zu veräußern. Inwieweit der Entziehungsbeschluss berechtigt ist, kann nur im Entziehungsverfahren vom Gericht beurteilt werden (BayObLG NZM 1999, 578).
b. Durchsetzung des Entziehungsbeschlusses erfordert Klage
Der Wohnungseigentümer, von dem die Gemeinschaft den Verkauf seines Wohnungseigentums verlangt, kann sein Wohnungseigentum freihändig und freiwillig veräußern. Ist er dazu nicht bereit oder findet er keinen Käufer, kann die Eigentümergemeinschaft ihren Anspruch durch Klage verfolgen. Zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Wohnung liegt (§ 43 I WEG). Klagevoraussetzung ist, dass ein Mehrheitsbeschluss im Sinne des § 18 III WEG nachgewiesen wird. Ob und inwieweit dieser Beschluss wirksam gefasst wurde, überprüft das Gericht gemäß § 43 IV WEG.
c. Alternative: Zahlungsklage
Parallel zum Verfahren auf Entziehung von Wohnungseigentum hat die Wohnungseigentümergemeinschaft auch die Möglichkeit, den im Zahlungsverzug befindlichen Wohnungseigentümer eine Zahlungsklage zuzustellen und aus dem Titel in das Vermögen des Wohnungseigentümers zu vollstecken und notfalls daraus die Zwangsversteigerung des Objekts zu betreiben.
d. Zwangsvollstreckung des Entziehungsurteils
Im Gerichtsurteil wird der beklagte Wohnungseigentümer verurteilt, sein Wohnungseigentum zu veräußern. Auf der Grundlage dieses Urteils kann die Zwangsvollstreckung in die Wege geleitet werden.
Antragsberechtigt ist insoweit die Wohnungseigentümergemeinschaft (§ 19 I 1 WEG). Besteht diese nur aus zwei Wohnungseigentümern, ist der andere Wohnungseigentümer berechtigt. Besteht sie aus mehreren Eigentümern, ist jeder einzelne Wohnungseigentümer zur Zwangsvollstreckung berechtigt (§ 19 I 1 WEG), wenn die Eigentümergemeinschaft die Vollstreckung nicht verfolgt. Die Wohnungseigentümergemeinschaft ist dann verpflichtet, dem vollstreckungswilligen Wohnungseigentümer den gerichtlichen Titel herauszugeben.
§ 19 II WEG gibt dem Wohnungseigentümer die Chance, bis zur Zahlung des Zuschlags in der Zwangsversteigerung die Entziehung abzuwenden, wenn er seiner Zahlungspflicht nachkommt und alle durch das Gerichtsverfahren angefallenen Kosten bezahlt. Nach dem Gesetz besteht diese Abwendungsbefugnis aber nur bei Zahlungsverzug. Eine entsprechende Anwendung für Fälle von Pflichtverletzungen soll möglich sein, wenn die Störungsquelle beseitigt wird.
Beispiel: Das Wohnungseigentümerehepaar wird geschieden. Danach wird die Wohnung den nicht störendem Ehegatten überlassen (nach Schmid aaO).
Wird das Wohnungseigentum dann zwangsversteigert, wird aus dem Erlös ein eventueller Grundschuldgläubiger oder sonstiger dinglich gesicherter Gläubiger sowie der Zahlungsanspruch der Wohnungseigentümergemeinschaft bedient. Ein eventueller Übererlös steht dem Wohnungseigentümer zu.
Der Erwerber, dem im Versteigerungsverfahren der Zuschlag erteilt wird, tritt in die Rechtsposition des Wohnungseigentümers ein und wird Mitglied der Wohnungseigentümergemeinschaft.